Deutsche Meisterschaft U16

Zwischen Weihnachten und Neujahr trieb es uns in die Ferne. Vom 26 bis 31. Dezember nahmen wir zum ersten Mal mit einer Vierer-Mannschaft an der Deutschen Vereins-Mannschaftsmeisterschaft für Jugendliche unter 16 Jahren (kurz: DVM-U16) in Burg Stargard (Mecklenburg-Vorpommern) teil. Dieser Ort liegt ca. 120 km nördlich von Berlin; gespielt wurde in einer Jugendherbege und nicht in einer Burg, vielmehr ist die Ortschaft (4.000 Einwohner) nach der dortigen Burg aus dem Mittelalter benannt.

Unsere Spieler in der Brettreihenfolge Damian Albers, Longlong Krutwig, Dimitri Papaioannou, Kevin Krug und Ersatzspieler Vladyslav Kanevski sowie Longlongs Vater Chandra Krutwig und ich als Betreuer fuhren mit gewissen Erwartungen gen Osten, denn gemäß der Papierform konnten wir uns durchaus einen vorderen Platz unter den 20 teilnehmenden Teams ausrechnen.

Am 2.Weihnachtstag ging es los, aber gleich mit Hindernissen: Damian wollte / musste noch Verwandte in Osnabrück besuchen, und reiste daher erst einige Stunden später als wir mit dem Zug an. Auf Vladyslav, mit 13 Jahre unserer jüngster Spieler, hätten wir beihnahe ganz verzichten müssen. Etwa eine Stunde vor dem Treff am Kölner Hauptbahnhof wurde ich auf dem Handy angerufen, er könne nicht mitfahren, da er krank sei. Er selbst wollte jedoch unbedingt mit, aber die Mutter hatte es verboten, dabei war er nach einer kleinen Fieberattacke am Heiligabend schon wieder hergestellt, wie sich später herausstellte. Nach meinem Versprechen, besonders gut auf ihn aufzupassen, durfte er schließlich doch noch mitkommen - es war die richtige Entscheidung, er hatte keine gesundheitlichen Probleme im Turnierverlauf.

Mit Zug und 2x Umsteigen gestaltete sich die Anreise ohne größere Probleme. Lediglich waren wir etwas überrascht, dass der Ausrichter zwar unser Gepäck vom Bahnhof abholte, jedoch nicht uns. Man schien wohl zu meinen, der Fußmarsch von ca. 1,5 km durch den Ort bei eisigen Temparaturen und ohne exakte Wegbeschreibung sei für die Sport-Mannschaften kein Thema. Nach 700 km Bahnfahrt war es auch nicht wirklich unangenehm, sich mal an der frischen Luft die Beine zu vertreten.

Am 27. Dezember ging es dann endlich los. Zunächst durften wir gegen den "Dicken Turm" aus Münnerstadt antreten. Deren Leistung war aber eher dünn, sie wurden mit 3,5 zu 0,5 von uns besiegt.

Zur zweiten Runde hatten wir kein Auslosungsglück. Wir wurden gegen einen Konkurrenten aus NRW gelost, gegen den wir bislang oft schlecht ausgesehen hatten. Berghofen-Wambel, ein Stadtteil von Dortmund. Mit recht viel Glück gelang uns hier ein 2-2 unentschieden. Kevin ging nach einem großen Fehler seines Gegners zwar 1-0 in Führung, aber Damian, Dimitri und Vladyslav standen zwischenzeitlich alle schlechter. Nochmal Schwein gehabt!

Zur dritten Runde am 28. Dezember wurden wir gegen HSK Hannover gelost. Um an der Spitze zu bleiben, mußten wir gewinnen. Leider verlor Longlong als Erster. Kevins Gegnerin an Brett 4 bot bald danach remis an. Kevin hatte sehr schnell gespielt und nach anfänglichem Vorteil inzwischen keine gute Stellung mehr (wie sich bei der Computer-Analyse nach der Partie herausstellte, stand er sogar klar schlechter). So konnte er seine Bedenkzeit zum Warten verwenden, was denn an den anderen beiden Brettern passierte. Dort kämpften Dimitri und Damian wie die Löwen und spielten zwei ihrer besten Partien. Der verzweifelte Hannoveraner Mannschaftsführer mußte mitansehen, wie beide gewannen; danach konnte Kevin genüßlich das Remis annehmen: 2.5-1.5 für uns!

Die Schachgöttin Caissa schien mit uns zu sein.

In der 4. Runde wendete sich unser Schlachtenglück. Das Glück ist eben wie Seife, es braucht sich irgendwann auf, wenn man es zu sehr in Anspruch nimmt. Unsere Strategie: "vorne halten, hinten punkten" ging nicht auf: Longlong und Damian verloren, Vladyslav gewann zwar eine remislich aussehende Stellung nach einem Fehler des Gegners. Auch Kevins Stellung sah remislich bis schlechter aus, und er wollte auch das vom Gegner offerierte Remisangebot akzeptieren. Da dies jedoch unsere Niederlage bedeutet hätte, konnte ich dem als Mannschaftsführer nicht zustimmen. Kevin sah das aber anders und weigerte sich lange, das Unmögliche zu versuchen und zu kämpfen. Erst nach fast einer Stunde des Herumdiskutierens spielte er dann doch weiter, am Ende ging es Remis aus. Leider mussten wir uns also gegen das Team von "Medizin Erfurt" nach langem Kampf mit 1,5 - 2,5 geschlagen geben.

Am Abend nach der vierten Runde stellten sich bei einigen Teams rätselhafte Krankheitsfälle ein, ein Spieler mußte sogar ins Krankenhaus. Spekulationen über verdorbenes Essen machten die Runde. Schließlich stellte der herbeigeeilte Notdienst-Arzt fest, dass es sich um einen aggressiven Magen-Darm Virus handelte, an dem alle Teilnehmer und Betreuer erkranken würden, und empfahl den Turnier-Abbruch. Da jedoch zu jeder Runde nie mehr als ein Dutzend Spieler (von ca. 120) gleichzeitig betroffen waren, beschloß ein eilig gebildetes Turniergericht, dass man weiterspielen solle. Das Turnier konnte dann auch ganz gut zu Ende gespielt werden, der "Halbgott in Weiß" hatte übertrieben, wahrscheinlich war er kein Freund des Schachsports. Die Übelkeiten gingen zumeist recht schnell vorbei, bei vielen traten sie erst garnicht auf. Wir waren zum Glück kaum betroffen. Dennoch gab es natürlich Beeinträchtigungen. Dortmund erwischte es besonders schlimm, die ganze Mannschaft wurde krank. Durch die Ankündigung, dass wir alle krank werden würden, horchten irgendwie alle besonders nach innen. Das unter diesen Umständen kein Spitzenschach mehr gespielt werden konnte, versteht sich. Dennoch wurden von allen 280 Partien dieses Turniers nur drei kmapflos verloren. In der fünften und sechsten Runde liefen wir wieder jeweils wieder einem 0-1 Rückstand hinterher und erzielten mühevolle 2-2 Unentschieden. Damit waren zwar noch in der oberen Tabellenhälfte, aber der Zug für einen Treppchenplatz schien abgefahren zu sein. Das 2-2 gegen Wolfsbusch war schon fast peinlich, gegen den absoluten Turnierfavoriten SV Rüdersdorf geradezu schmeichelhaft. Caissa mußte für uns ein großes zweites Stück Seife aufgetrieben haben! Gerade in dieser Phase ließ bei uns Mülheimern etwas die Kondition und der Kampfgeist zu wünschen übrig. Eine der kürzesten Niederlagen von Damian Albers in nur 15 Zügen war allerdings teilweise auf den Virus zurückzuführen.

Zur letzten Runde gab ich die Parole alles oder nichts aus und verbot unseren Spielern vor dem 40. Zug remis anzunehmen oder anzubieten. Das klappte ganz gut, diesmal gingen wir gegen Leipzig-Gohlis selbst in Führung und gewannen mit knapp mit 2,5 zu 1,5, allerdings auch hier mit "viel Seife". Durch günstige Ergebnisse hätten wir sogar fast noch den dritten Platz belegt, am Ende war es Rang 4 unter 20 Mannschaften. Hier die Einzelergebnisse: Damian und Longlong 2,5 aus 6, Dimitri 3,5 aus 6, Kevin sehr gute 5 aus 6 und Vladyslav 2,5 aus 4.

Abschließend kann man sagen, daß wir in einem sehr anstrengenden Turnier als Mannschaft vorzüglich abgeschnitten haben, aber unsere Spitzenspieler wissen jetzt auch, das die Trauben auf Deutschen Meisterschaften eben sehr hoch hängen, und woran sie in Zukunft noch arbeiten müssen. Ende 2003 sind außer Damian alle Spieler nochmal spielberechtigt.

Leo Evers